"Und Endlich Unendlich"
aus
VISIONS
Ausgabe: Nr. 194
15 Jahre nach dem ersten und zwölf Jahre nach dem letzten Album melden sich die Hamburger Selig in Originalbesetzung zurück. Ehrlich gesagt konnte man nicht damit rechnen, dass Selig in der Lage sind, ihren 90er-Sound derart authentisch zu konservieren und trotzdem in ein zeitgemäßes Gewand zu verpacken. Allerdings ist genau der Versuch, das Album zeitgemäß klingen zu lassen, mitunter das größte Problem der Platte. An manchen Stellen klingen Selig 2009 wie die aktuellen Popgrößen, denen sie wohl ursprünglich als Inspiration dienten. „Wir werden uns wieder sehen“ kann man sich auch problemlos von Silbermond oder Juli vorstellen. Dem gegenüber stehen dann aber Songs wie „Auf dem Weg zur Ruhe“ oder die Single „Schau Schau“, die auch auf dem ’94er Debütalbum gut aufgehoben gewesen wären. Eine weitere Konstante sind Jan Plewkas nach wie vor herrlich verklausulierte, manchmal fast schon zu kitschige Texte. Beispiel gefällig: „Jetzt hängst du rum mit deinem nutzlosen Freund in geometrischen Gärten auf unaufgeräumten Glück.“ Ob sie sich nun aufgrund chronischer Erfolglosigkeit ihrer anderen Projekte reformiert haben oder nicht, sollte angesichts dieses recht gelungenen Comebacks einfach mal egal sein. Außer Frage steht, dass offenbar viele Menschen auf sie gewartet haben, wie die ausverkauften Hallen der gerade abgeschlossenen Deutschlandtournee belegen.
7/12 Punkte
Kritik von Roman Pitone
- "Und Endlich Unendlich"
- aus
- intro
- 16.03.2009
Eine Reunion mehr, die zu lieben bzw. zu hassen leicht fällt. Selig haben nach über zwölf Jahren, nach dem Album "Blender", wieder eine Platte draußen. Weil alle Solo-Projekte scheiterten oder weil es so viel Neues zu erzählen gibt?
Contra
"Man musste nur auf die andere Seiten gehen, damit man zu den Guten kam", eine Zeile der Schweizer Band Aeronauten. Sie stammt aus den Neunzigern und thematisiert bereits die aufkommende Verstrickung von Geil und Scheiße. Coole Indiebands landeten auf herzlosen Majorlabels, die Grenzen verschwammen - bis ein Jahrzehnt später sogar Folgendes denkbar wurde im Gulasch der Zeichen: herzlose Indieband auf coolem Majorlabel. Eine Gewissheit besaßen die Neunziger aber noch: Selig waren ekelhaft! Zusammen mit Pissköpfen wie Nationalgalerie (allein der Name!) zementierten sie das Missverständnis der Mucker bezüglich des damals so aufregenden Hamburger Deutsch-Pop von Toco, Blumo, Sterno. Selig merkten gar nichts und kotzten ihre dorfige, testosteronige Bunkermentalität über Viva sogar in die Charts. Zum Heulen. Doch dann war der Spuk vorbei, und voller Häme - ich gestehe - verfolgte ich das Scheitern der (noch schlimmeren) Solo-Projekte. Von Kungfu, Zinoba über TempEau bis hin zu dem unerträglichen Rio-Reiser-Stümper-Film mit Jan Plewka als irgendwas. Jetzt: Reunion. Klar, wenn sonst nix mehr geht ... Die Texte haben zumindest die ganz fiesen Fickerabsonderungstiefpunkte wie "Sie hat geschrieen heut' Nacht, wie ein sterbendes Kind" zugunsten von egalerer Sprache aufgegeben. Immerhin! Die Musik: kacke wie immer, obwohl ... stimmt ja gar nicht: Die Musik war schon immer muckerperfekt, genau wie der Sound groß, aber uninspiriert. Das bleibt. Der Rest dieses Comebacks vergeht nach paar Feuilleton-Artikeln, Viva und die Charts werden es nicht mehr nehmen.
Kritik von Linus Volkmann
- "Und Endlich Unendlich"
- aus
- intro
- 16.03.2009
Pro
Sie rennen seit Jahren durch die gnadenlose Gegend und trinken sich in den Nächten "Die alte Zeit zurück". Jan Plewka fragt es sich doch die ganze Zeit selbst: "All die Bands, die du gegründet hast - was wurde aus denen?" Selig haben auf "Und endlich unendlich" ein umfassendes Geständnis abgelegt. Es gibt daher nichts mehr, was man ihnen noch vorwerfen könnte.
Natürlich: Selig stehen auf du und du mit dem Quintenzirkel, haben Hornhaut an den Gitarristenfingern und wissen ihre Instrumente sehr wohl zu spielen. Das hat sie für die Indie-Turnbeutelvergesser, die seit Jahrzehnten das Loblied der Mittelmäßigkeit zusammenstümpern, immer verdächtig gemacht, weil sie sich damit dem unseligen Refrain des "Das kannst du auch!" verweigern. Mon dieu: Selig sind eine Rockband. Das durfte man in Deutschland ja noch nie sein: früher nicht, weil das ja die sogenannte "Negermusik" war; heute nicht, weil die Lagerordnung des PC-Camps (Mark E. Smith) zwar komplizierte Komposita wie "Fickerabsonderungstiefpunkte" erdenken kann, ansonsten aber kein Deutsch spricht. Das empföhle sich indes, ist Plewka doch - auch wenn die Zunahme des christlichen Vokabulars Sorge bereitet - ein Chiffren-, Katachresen- und Wörterschlangendichter von bewundernswerter Kunstfertigkeit ("Ein paar ungleiche Schwestern / Teil'n sich noch Scheine / Über den Dächern / Von Houston nach Schikago"). Seine Zeilen sind so bitter nötig, weil es tatsächlich Leute gibt, die glauben, Peter Fox' "Und dann und dann und dann"-Texte seien bereits eine Erzählung. Mob und Pöbel verstehen das natürlich nicht.
Kritik von Boris Fust
"Für immer und
Selig"
aus
musikexpress/SOUNDS
Ausgabe: 01/2000
Wirklich selig waren die fünf
Hamburger eigentlich nur ganz am
Anfang ihrer Karriere. Mit den
energischen Songs und den bis an die
Schmerzgrenze persönlichen und
eigenwilligen Texten von Sänger
Jan Plewka wurde die Band in Folge
ihres 1994er Debütalbums SELIG
zu einem Vorreiter für eine
ganze Welle von deutschsprachigen
Rockgruppen. Schon beim zweiten Album
HIER zerrten allerdings die
Fliehkräfte unterschiedlicher
musikalischer Zielrichtungen an den
Grundfesten der Band, der Spagat
zwischen Hippie-Psychedelia,
Schweinerock und Metal spreizten den
Sound bis kurz vor den Sehnenriss.
Selig suchten die Flucht nach vorn
und experimentierten ohne wirkliches
Konzept in einem New Yorker Studio
mit Loops und Elektropop. Die Folge:
Kurz nach der Veröffentlichung
von Blender (1997) atomisierte die
Gruppe. Eine kurze traurige
Geschichte. Dennoch birgt die
Selig-Retrospektive FÜR IMMER
UND SELIG (inklusive einer Bonus-CD
mit Live Tracks und drei
Enhanced-Videos) zwei Aha-Erlebnisse:
Zum einen erstaunt, wie viele Hits
von "Wenn ich wollte" bis
"Sie hat geschrien" Selig
in so kurzer Zeit schreiben konnten.
Viel wichtiger aber: Bei der
Verwendung der deutschen Sprache im
Kontext einer hart aufspielenden Band
gelang es Selig einer der wenigen
intelligenten und vor allem stimmigen
Gegenentwürfe zu der
Teutonisierung und Brachialisierung
der Popmusik in den 90er Jahren durch
das Rammstein-Böhse
Onkelz-Witt-Lager.
-
   
(gut)
Kritik von Peter von
Stahl
Für immer und
Selig"
"Sag mir, ist es
wichtig...?" Wer kennt sie
nicht, diese Refrainzeile aus dem
SELIG-Hit "Ist es
wichtig?". Die Antwort kommt
prompt und lautet "So richtig
wichtig ist es nicht!". Nach
fünf Jahren und drei
Studio-Alben lösten sich SELIG
1998 auf. Die Gründe für
den plötzlichen Split wurden auf
ihrem letzten Album
"Blender" im Song
"Popstar" hörbar.
Sänger Jan Plewka wurde der
Rummel im Showbiz zuviel, zu
unpersönlich war das
Geschäftsgebaren, zu gross der
Druck der Plattenfirma.
Gerade als die Promotion für
das Album "Blender" starten
sollte, tauchte Plewka bis auf
weiteres in Schweden unter. Zeit zum
Nachdenken. Plewka sah Vaterfreuden
entgegen und entschied sich für
das Ende von "SELIG". Titel
wie "Wenn ich wollte",
"Bruderlos" oder "Ohne
Dich" sind echte Perlen auf dem
deutschsprachigen Sektor. Ihr
facettenreicher,
psychodelik-alternativ beeinflusster
Rock mit dem Flair der 70er kitzelte
Anfang `94 gewaltigst den sogenannten
"Zeitgeistnerv".
SELIG-Fans schossen wie Pilze aus
dem Boden, was aber nicht allein auf
das tadellose Aussehen der fünf
zurückzuführen ist. Plewkas
Texte waren unverschleiert, real und
trotzdem geheimnisvoll. Zudem lauerte
in seinem Timbre an jeder Ecke ein
Rio Reiser, stets zum Sprung bereit
uns das Herz zu zerreissen.
Die Doppel CD "Für immer
und Selig" vereint 14 ihrer
besten Stücke auf einem
Silberling. "Ist es
wichtig" und "Popstar"
gibt es in bisher nicht
veröffentlichten
Re-Mix-Versionen.
Die zweite CD enthält
Live-Mitschnitte von "Lass mich
rein", "Hey,Hey, Hey"
und "Ja", sowie einen
Session-Mitschnitt von "Mach die
Tür zu". Als ganz
besonderen Bonus enthält CD 2
noch die Videos "Wenn ich
wollte", "Ohne Dich"
und "Bruderlos".
Der SELIG-Thron wurde inzwischen von
einer weiteren Franz Plasa-Produktion
bestiegen. Für "Echt"
war die Existenz einer Band wie
"SELIG" in jedem Fall
(LEBENS)wichtig!
"Für immer und Selig"
zeigt eindrucksvoll, wer den Weg
dorthin bereitet hat. Diese Scheibe
gehört in jede gute
Plattensammlung!
10 Punkte
(Höhstpunktzahl)
- Kungfu:"Glaskugelsammelbehälterkasten"
- aus
- ZIVILDIENST
- Ausgabe: 10/1999
Kungfu sind die wohl
vielversprechendste Rockneuheit
aus Deutschland und das auch
zurecht! Mit
"Glaskugelsammelbehälter"
sollen neue Maßstäbe
in der deutschen Rockszene
gesetzt werden.
Maßgeblich daran
beteiligt ist der ehemalige
Songwriter und Gitarrist von
Selig, Christian Neander. Er
hat nach zweijähriger
Pause seit der Auflösung
von Selig zusammen mit
Sänger Jan Lafazanoglu,
Bassist Tobias Cordes und
Schlagzeuger Sebastian
Krajewski ein Album
aufgenommen, das bis zum
letzten Teil begeistert.
Eingängige Melodien,
kräftige Grooves, starke
Sounds, packende Gitarren-Riffs
und ausgefallene Texte sind
dabei die unverwechselbare
Handschrift von Kungfu.
Besonders die Dynamik der
einzelnen Stücke ist
atemberaubend. Zwar erinnern
einige Passagen an Selig, aber
die Stärke des
Gesamtwerkes tröstet ohne
wenn und aber darüber
hinweg. Einer der besten Songs
ist übrigens "Hallo
Gott" - der erste Track
auf dem Silberling und
gleichzeitig auch erste
Singleauskoppelung der Band.
Vor allem Sänger
Lafazanoglu begeistert mit
seiner wandlungsfähigen
und ausdrucksstarken Stimme,
mit der er dem Song
prägnante Akzente gibt.
"Uns geht es in unseren
Songs um intensive Stimmungen,
um ein Lebensgefühl"
sagt Neander selber, und das
gelingt Kungfu auch mit ihren
Songs. Von melancholisch,
traurig schläfrig und
gelangweilt über
aufgekratzt bis hin zu psycho
reicht die Bandbreite der
vermittelten Stimmungen - man
glaubt Kungfu einfach
alles!
Mit
"Glaskugelsammelbehälterkasten"
ist Kungfu ein
außergewöhnlich
gutes Debüt-Album
gelungen, dass neue
Maßstäbe setzt und
in der Form einzigartig ist.
Mit Sicherheit wird man
große Charterfolge feiern
können - gegönnt sei
es Kungfu jedenfalls.
-
   
(extraklasse)
Kritik von Thomas Klecker
- Kungfu:"Glaskugelsammelbehälterkasten"
- aus
- musikexpressSOUNDS
- Ausgabe: 08/1999
-
Christian Neander hat den Jan
getauscht. Statt Jan Plewka
heißt der Sänger jetzt Jan
Lafazanoglu. Und seine Band ist jetzt
auch nicht mehr Selig, sondern
Kungfu. Im April 1998 haben der
Gitarrist und der Sänger sich in
Hamburg getroffen, für gut
befunden, Tobias Cordes und Sebastian
Krajewski für die
Rhythmussection angeheuert und gleich
eine prima Platte aufgenommen.
Rockmusik mit deutschen Texten - kann
das heutzutage überhaupt noch
gut gehen? Es kann. Und wie. Wer es
fertig bringt, ein so doofes
Wortungetüm wie
"Glaskugelsammelbehälterkasten"
so in seine Lyrics einzubauen,
daß man - wie es hier der Fall
ist - gleich mitträllern kann,
kann mit seinem Job so falsch nicht
liegen. Lafazanoglu hat Talent
für eingängige Hooklines
und lotst lustvoll die Untiefen
seiner Stimme singend,
krächzend, flüsternd und
seufzend aus. Dabei versprüht er
in seinen wunderschönen,
unpeinlichen Texten mit ganz viel
Herzblut und Seele jede Menge coolen
Charme und erinnert durchaus schon
mal an den anderen Jan. Ebenso wie
Neanders Gitarrensound, was Wunder,
öfter mal an Selige Zeiten
gemahnt. Die in traditioneller
Besetzung, fast gänzlich ohne
Computerschnörkel eingespielten
Stücke strotzen vor Kraft und
Dynamik, vor Energie und Spaß.
Es gibt ganz wenige Hänger,
dafür mir "Ich hör
nicht auf", "Du
schwebst", und "Andere
zurück" ein paar echte
Knaller, die schon beim ersten
Hören im Ohr kleben bleiben.
Dann gibt es noch ein paar Balladen,
einen Discohit zum Pogowackeln
("Neonlicht") und ein paar
nölige, bekiffte
Midtempostücke. Damit wir uns
nicht falsch verstehen: Kungfu
verzetteln sich nicht in dem
anbiedernden Bemühen,
möglichst viele Stile abdecken
zu wollen. Sie zeigen einfach nur was
sie so alles drauf haben. Und das tun
sie ganz überzeugend.
-
   
(gut)
Kritik von Sabine
Stodal
- "Blender"
- aus
- musikexpress/SOUNDS
- Ausgabe: 07/1997
-
Die fünf Hamburger waren
im großen New York und
haben dort nach SELIG und Hier:
ihr drittes Album
zusammengebastelt, eine Platte,
die erstmal ratlos macht. Nach
langem Grübeln denkt man
sich folgende
Gebrauchsanweisung aus:
1. Die Platte muß man
dringend mehrmals hören:
Griffige Refrains, die an
Knüller wie "Ist es
Wichtig?" erinnern, sucht
man zunächst vergeblich.
Statt dessen breitet sich in
fast jedem Song ein dichter
Klangteppich aus, der zum Teil
komplett mit den Vocals
verschmilzt. Die Ausnahme von
der Regel bildet
"Popstar", ein Sond
der sofort ins Ohr geht.
2. Achtung: Blender ist ein
intimes Werk. Plan Plewka hat
sich wieder Freud',Leid und
Wahnsinn von der Seele
geschrieben. Die so
entstandenen Texte kapiert
sicher nicht jeder, sie bieten
aber jede Menge Platz für
Interpretationen und
Identifikationen.
3. Schublade? - Keine Chance.
Geboten sind
Regenwald-Trommelattaken,
Groove-Elemente ud
psychedelisches
Gitarrengezwirbel,
Operneinlagen, wuchtige Riffs,
Drum 'n Bass-Elemente,
balledeske Orgeln,
Weltraumklänge,
Funk-Anleihen, HipHop-Samples
und, und, und ...
4. Die Band selbst bezeichnet
ihren Sound am liebsten als
"deutschsprachigen
Hippie-Metal". Punkt.
  
(nicht
übel)
Kritik von Cloat Gerold
- "Blender"
- aus
- VISIONS
- Ausgabe: Nr. 58
Der Titel der Single
„Popstar" ist Programm
fürs komplette Album.
Offensichtlich haben sie bei den
neuesten Werken internationaler
Popstars sehr genau hingehört,
denn wie sonst lassen sich 100%ige
Übereinstimmungen mit U2, David
Bowie oder Kula Shaker erklären.
Da taucht bei
„Rauchgemeinschaft" die
identische Sequenz zu
„Discothéque" von
U2 bereits direkt am Anfang auf, da
wird bei „Winter" eine
„Little
Wonder"-Drum’n’Bass-Sequenz
von Bowie eingebaut, und
„Tabla" erinnert nicht nur
wegen des Titels schwer an Kula
Shakers „Tattva". Dabei
beweist gerade der Song „Sie
Zieht Aus" im
grungig-balladesken Stil, daß
Selig immer dann am besten sind, wenn
sie ihrer Anfangszeit treu bleiben.
Lediglich das Schlußstück
„Unterm Regen" verbindet
Drum’n’Bass
nachvollziehbar mit dem
ursprünglichen Songwriting von
Selig. Was bei David Bowie als
innovativ gefeiert und bei U2 als
konsequent betrachtet wurde, klingt
bei Selig abgekupfert und stillos.
Nach dem Erfolg der Soundtrack-Single
hätte man die New Yorker
Studio-Atmosphäre
künstlerisch besser nutzen und
sich intensiver auf die eigenen
Stärken konzentrieren sollen.
Dann wären auf
„Blender" mehr als nur
zwei sehr gute und drei annehmbare
Songs vertreten.
5/12 Punkte
Kritik von Ralph Buchbender
- "Hier:"
(Contra-Kritik)
- aus
- VISIONS
- Ausgabe: Nr. 39
An Selig scheiden sich die Geister:
Entweder man liebt oder haßt
sie. Ungeachtet dieser Tatsache,
zählte ich mich bislang eher zur
indifferenten Masse, die "Ohne
Dich" und "Wenn Ich
Wollte" als gelungene Popsongs
ansah, der Band aber ansonsten kaum
Aufmerksamkeit schenkte. Mit
"Laß Mich Rein" und
"Ist Es Wichtig?" finden
sich auch auf "Hier" nette
Singalongs, ansonsten hat mir das
Album nicht allzuviel zu bieten.
Klar, die Produktion von Franz Plasa
ist perfekt auf den Punkt gebracht
und die Band präsentiert sich
technisch versiert und
experimentierfreudig, läßt
hier ein wenig Metal aufblinken und
bedient sich dort beim Blues. Selig
ist also - selbst wenn sich das
Quintett in dieser Schublade nicht
wohlfühlt - der Prototyp der
deutschen Grungeband. Parallelen zu
Pearl Jams "Release" lassen
sich bei "Du Kennst Mich
Nicht" kaum verleugnen. Last but
not least legt sich auch Sänger
Jan mächtig ins Zeug, um seiner
Band eine individuelle Note zu
verpassen. Aber gerade diese Mischung
aus Poesie und Emotion ist es, die
mich überfordert und den
Stolperstein auf dem Weg zum
Gutfinden darstellt.
4/12 Punkte
Kritik von Falk
Albrecht
- "Hier:"
(Pro-Kritik)
- aus
- VISIONS
- Ausgabe: Nr. 39
Der Liebeskummer-Overkill war
gestern. "Hier" und heute
zeigen, wie ausbaufähig
Chartfutter auch mit Megaseller-Staus
bleiben kann. Die Reise geht vorbei
am Retro-Pop des Debüts - tief
ins Psychedelic-Land. Etwas
zweideutiger als damals wird am
zarten Liebesglück
vorbeigerutscht bis die Trauermarke
den Eintritt ins Tränenland
gewährt. "Lass mich
`rein" beweist ganz ohne
Mißverständnisse, welche
musikalische Ära Selig mit der
Muttermilch aufgesogen haben; nicht
nur die schlau gewebten
Hammond-Teppiche lassen dieses Album
`echt alt` aussehen. Seligs Talent,
den üblichen Deutschrock-Tran
geschickt zu umschiffen, ist ihnen
erhalten geblieben, wenn auch ihr
größtes Kapital - die
Leidenschaft - ein wenig in den
Hintergrund getreten ist. Schade
eigentlich, die Treffer mitten ins
Herz waren da mal zahlreicher.
Dennoch: Der deftige Schuß
Heaviness im "Arsch einer
Göttin" bleibt nicht
unbemerkt, und für Freunde
exzessiven Wahwah-Retro-Zeugs bieten
Selig nach wie vor die Vollbedienung
- unverblümt teutonisch, jetzt
erst recht.
10/12 Punkte
Kritik von Martin Iordanidis
- "Hier:"
- aus
- musikexpress/SOUNDS
- Ausgabe: 08/1995
Bereits mit seiner zweiten Platte
landete das Hamburger Quintett -
unter tatkräftiger Mithilfe
von Viva und MTV - einen
Überraschungscoup. Das
dazugehörige Debütalbum von
Selig kletterte bis in die Top 40.
Die Medien feierten eine neue
deutsche Rock-Hoffnung, zum Teil
faselte man gar von den
"deutschen Spin Doctors".
Da ist der Erwartungsdruck was den
Nachfolger betrifft natürlich
groß. Doch Selig sind in diesem
Fall nicht die geitig Armen.
Gecshickt servieren die jungen Herren
Jan, Stoppel, Malte, Leo und
Christian - das Erfolgsrezept des
Vorgänger klar vor den Augen -
psychedelisch angehauchen,
verschleppten 70er-Jahre-Rock. Da
schrammelt relaxt eine verstimmte
Gitarre und da stolpert ein trockenes
Schlagzeug während im
Hintergrund wahlweise eine
Schweineorgel quäkt oder eine
Sitar klingt. Das wäre alles
schön und gut, würde es
Sänger Jan mit seinen betont
lasziv gestöhnten
Zeitgeist-Lyrics nicht gelegentlich
übertreiben. In kleineren Dosen
wirken die Texte aus dem Handbuch von
Slacker und Twentysomethings gerade
noch verträglich, doch
spätestens wenn er vom
"Arsch einer Göttin"
deliert, wünscht man sich nichts
seliger als englischen Gesang.
   
(gut)
Kritik von Wolfgang Hertel
- "Selig"
- aus
- musikexpress/SOUNDS
- Ausgabe: 04/1994
Deutschrock in der Nachfolge von Ton
Steine Scherben. Die begabten
Newcomer haben für SELIG den
Geist der Siebziger in die Neunziger
herübergerettet. Hamburgs
Antwort auf die Spin Doctors.
  
(nicht
übel)
Kritik von Harald Kepler
|